FEDERICO SAVINI
14.11.2022
Die Verantwortlichen in den Städten haben das Potenzial des Postwachstumsgedankens für die Gestaltung der Stadtpolitik und für Interventionen entdeckt. Viele Städte in Europa und anderswo liebäugeln mit der Idee des Postwachstume: Einige haben sich voll und ganz auf Kate Raworths Konzept der "Doughnut Economy" eingelassen und es bereits auf ihren institutionellen Politikgestaltungsprozess angewandt (z. B. Amsterdam, Brüssel, Kopenhagen, Glasgow). Daneben gibt es aber auch Städte, die das Doughnut-Konzept nicht explizit verwenden und sich stattdessen lieber auf andere Repertoires und Terminologien, wie z. B. die Wohlfühlökonomie, konzentriert haben. Dennoch gibt es kaum eine öffentliche Verwaltung, die sich den Begriff Degrowth zu eigen gemacht hat (oft wird stattdessen "Kommunalismus" bevorzugt). In der Zwischenzeit ist Degrowth unter Stadt- und Umweltaktivist:innen, Designer:innen und Architekt:inneen ziemlich verbreitet.
Wir haben es hier mit einer Konstellation von Begriffen zu tun, die je nach Umfeld und Akteuren in der Diskussion oft austauschbar verwendet werden. Ich habe schon einige Male an runden Tischen, Seminaren, politischen Tischen, Think-Tanks und Workshops teilgenommen, bei denen alle Begriffe gleichzeitig verwendet wurden. Das Ergebnis ist eine Diskussion, die chaotisch und oft nicht zielführend ist. Die Menschen tauschen ihre Ansichten aus, kommen aber kaum zu einem Konsens darüber, welches "Narrativ" am besten geeignet ist, um sozio-ökologische Probleme anzugehen. Infolgedessen bleibt die Diskussion oft bei den Begrifflichkeiten selbst hängen und kommt nicht zu den tatsächlichen Lösungen, die zur Bewältigung des jeweiligen sozio-ökologischen Problems (wie CO2-Reduzierung oder Ungleichheit) erforderlich sind. Überraschenderweise tritt dieses Problem auch an den Universitäten auf, wo Wissenschaftler:innen Begriffe wählen, die zu ihrem eigenen Hintergrund passen. Kreislaufwirtschaft für quantitative Ingenieur:innen und Ökonom:innenen, Degrowth für Sozialwissenschaftler:innen, Postkolonialismus oder Extraktivismus für einige Geisteswissenschaftler:innen, Doughnut für Jurist:innen und (wenige) Betriebswirtschaftler:innen.
Da diese Begriffe alle sehr wichtig sind, um die städtische Politik in der aktuellen Klima- und Biodiversitätskrise zu positionieren, möchte ich einen kurzen Leitfaden geben, um sie zu unterscheiden und zu vergleichen. Ich stütze mich dabei sowohl auf die Literatur als auch auf die Beobachtung, wie diese Begriffe in der Praxis verwendet werden. Konkret möchte ich die folgenden vier Begriffe vergleichen: Postwachstum, Degrowth, Doughnut (oder Doughnut Economy) und Kreislaufwirtschaft. Kurz gesagt ist Postwachstum ein Ansatz, der Doughnut ein Instrument, Degrowth eine Agenda und die Kreislaufwirtschaft ein (Geschäfts-)Modell.
Der Begriff Postwachstum (Post-Growth) definiert einen Ansatz zur Untersuchung und Lösung sozial-ökologischer Probleme, der dem des grünen Wachstums im Wesentlichen entgegengesetzt ist. Grünes Wachstum drückt die Überzeugung aus, dass die Gesellschaft die Gesamtzahl der wirtschaftlichen (und monetären) Aktivitäten weiter ausbauen und gleichzeitig die Emissionen und die materiellen Anforderungen an den Planeten reduzieren kann. Das Postwachstumsdenken vertritt einen anderen Standpunkt und argumentiert, dass die unbegrenzte Ausweitung von Produktion und Konsum (gemessen als BIP, aber auch auf andere Weise) auf einem endlichen Planeten unmöglich ist. Da dies eine ziemlich offensichtliche Auassage ist und es weltweit kaum Beweise für eine absolute Entkopplung gibt, haben Postwachstumsansätze großen Auftrieb erhalten. Es ist wichtig zu betonen, dass Postwachstum ein Ansatz ist, dem noch keine explizite Strategie oder Agenda innewohnt. Es ist eine recht einfache Art und Weise, anzuerkennen, dass die derzeitige Hauptherausforderung für die Umweltpolitik nicht darin besteht, neue und grünere Technologien zu finden oder anzuwenden, sondern vielmehr darin, die Art und Weise zu überdenken, wie Gesellschaft und Wirtschaft mit der Umwelt interagieren. Das Postwachstumsdenken setzt ein, sobald man akzeptiert, dass es planetarische Grenzen gibt, die nicht eingehalten werden können, wenn die Industriegesellschaften ihre Wirtschaftsleistung etwa alle 23 Jahre verdoppeln (unter der Annahme einer Wachstumsrate von 3 % pro Jahr).
Insofern ist Postwachstum ein eher zahnloses Wort. Es wirkt zwar der Hegemonie des Wachstums entgegen, gibt aber kaum eine Richtung für Maßnahmen und Interventionen vor. Es ist ein Ansatz ohne konkretes Instrumentarium.
Der Doughnut ist sehr praktisch, um diese Lücke zu füllen. Der von Kate Raworth entwickelte Doughnut ist in erster Linie ein Modell, das es ermöglicht, einen Postwachstumsansatz mit politischen Inhalten zu füllen. Die Annahme des Doughnuts impliziert die klare Akzeptanz einer Postwachstums-Position. Wie jeder andere analytische Rahmen ist auch der Doughnut ein Instrument, das es den politischen Entscheidungsträger:innen ermöglicht, zwei wichtige Dinge zu tun: erstens, die Sektoren - beispielsweise innerhalb einer Stadt oder einer Nation - zu kartieren und zu erfassen, die die planetarischen Grenzen überschreiten; zweitens, die Sektoren der Gesellschaft zu identifizieren, die die Mindeststandards nicht erfüllen. Wenn genügend Daten vorliegen, können die politischen Entscheidungsträger anhand des Doughnuts abschätzen, um wie viel die einzelnen Sektoren entweder sinken oder steigen sollten. Es ist ein Instrument zur Erstellung eines Ziels. Auf diese Weise wurde es in Amsterdam eingesetzt, wo die Stadt wiederholt Workshops und Untersuchungen durchgeführt hat, um die Schlüsselsektoren festzulegen, die auf Stadtebene reduziert werden sollen, und um Schlüsselindikatoren für das Wohlbefinden aufzulisten, die erreicht werden sollen. Es überrascht nicht, dass DEAL (das Doughnut Economics Action Lab, das mit Kate Raworth verbunden ist) sein Doughnut-Tool, das den Beamten der Stadt angeboten wird, "Stadtporträt" nennt.
Die Grenzen des Doughnuts liegen in der Tatsache, dass seine Wirksamkeit und seine potenziellen Folgen wie bei jedem anderen Instrument vollständig von den Akteur:innen abhängen, die es anwenden (und von den Daten, die sie für seine Umsetzung sammeln). Außerdem bietet der Doughnut als Instrument kaum eine Handlungsoption. Er zeigt zwar ein Problem auf, gibt aber kaum Hinweise darauf, wie dieses Problem angegangen werden sollte. Selbst wenn eine Stadt eine Doughnut-Politik beschließt, könnten die Verantwortlichen immer noch Maßnahmen ergreifen, um die Umweltkosten auf andere Bereiche zu verlagern, die städtische Wirtschaft umweltfreundlicher zu gestalten (anstatt sie zu verkleinern), den Wohlstand "aller Menschen" in ihren Verwaltungsgrenzen zu erhöhen, ohne die Ungleichheit auf breiterer Ebene zu verringern, usw.
Degrowth setzt hier an und bietet einen Aktionsplan, der es ermöglicht, die im Rahmen eines Doughnut-Rahmens festgelegten Ziele zu erreichen. Degrowth ist insofern ein Postwachstumsansatz, aber geht noch einen Schritt weiter, und erkennt an, dass es zur Einhaltung der planetarischen Grenzen (d. h. der Außengrenze des Doughnuts) notwendig ist, alle wirtschaftlichen Aktivitäten - Produktion und Konsum -, die Umweltschäden verursachen und den Wohlstand in den Händen weniger konzentrieren, aktiv zu reduzieren. Um dies zu erreichen, eröffnet Degrowth einen Weg der Reduzierung, der zuerst auf den Überschuss abzielt. Gleichzeitig fordert Degrowth Verteilungsgerechtigkeit. Es verlangt von den politischen Entscheidungsträgern die Anerkennung der Tatsache, dass der übermäßige Konsum der Wohlhabenden die städtischen und planetarischen Gemeinschaftsgüter für alle schädigt. Und es lenkt die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass diejenigen, die den minimalen Lebensstandard nicht erreichen (der innere Rand des Doughnuts), nur dann Wohlstand erreichen können, wenn die Wohlhabenden ihren übermäßigen Konsum aufgeben, der ihnen Wohnraum, Land und Kohlenstoffbudgets entzieht. Degrowth ist sozusagen das Gegenteil der Trickle-down-Ökonomie.
Es handelt sich um eine Agenda der sozial-ökologischen Umverteilung. Damit öffnet diese Agenda eine ganze Büchse der Pandora mit verwandten Themen: die demokratische Verteilung von Macht, die Besteuerung von übermäßigem Reichtum, die Marginalisierung von Pflege und Sozialarbeit und sogar das System der Eigentumsrechte, das einige dazu veranlasst, materielle Ressourcen anzuhäufen und andere zu enteignen.
Degrowth ist daher ein nützliches Konzept, um eine Agenda für blühende Städte zu erstellen. Aber warum sträubt man sich so sehr dagegen, den Begriff in der Politik anzuwenden? Ich beobachte häufig, dass Beamt:innen den Begriff als unbrauchbar abtun. Der Grund dafür ist, dass dieser Begriff den großen Elefanten im Raum berührt: Um ökologische Grenzen und soziale Gleichheit zu erreichen, ist ein geplanter Abbau von Überschüssen erforderlich, und diese Überschüsse sind meist bei den wohlhabenderen und mächtigen Akteur:innen konzentriert, die unsere Wirtschaft bestimmen. Beispiele dafür sind die Anteilseigner der Luftfahrtindustrie und der städtischen Flughäfen, die Hafenbetreiber, die Frachtindustrie, die Vertreiber fossiler Brennstoffe, die Finanz- und Versicherungseliten (wovon die meist in den Städten leben und häufig fliegen), die Betreiber von Servern, die die intelligente Wirtschaft betreiben, die Bauindustrie usw.
Kreislaufwirtschaft
Der Begriff Kreislaufwirtschaft löst weniger Diskussion aus. Heutzutage wird er allgemein als ein wirtschaftliches Produktions- und Konsummodell definiert, das danach strebt, die Produktivität von Materialien zu maximieren und dadurch Abfall und Rohstoffverbrauch zu reduzieren. Als solches gibt das Modell öffentlichen Stellen und Unternehmen die Möglichkeit, herauszufinden, wo Wertverluste bei Materialien stattfinden, und Änderungen in Produktion und Verbrauch in Gang zu setzen, die es ermöglichen, diesen Wert zu erfassen. Das ist ein gutes Ziel, auch unter dem Gesichtspunkt des Degrowth. Als Modell ist es jedoch so neutral, dass es für fast jede Art von Sozial- und Umweltpolitik verwendet werden kann: von sozial orientierten Repair-Cafés bis hin zu multinationalen Oligopolen, die große Wertschöpfungsketten steuern. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft allein bietet wenig Ansatzpunkte für die Bewältigung sozial-ökologischer Probleme, da es keine Reduzierung von Konsum und Produktion fordert. Kombiniert mit Degrowth kann das Konzept der Kreislaufwirtschaft jedoch einen wirkungsvollen Weg zur Materialreduzierung bieten. Es kann auf geplante Obsoleszenz abzielen, Abfallproduzenten bestrafen und eine dezentralisierte, demokratische Wirtschaft der Materialwiederverwendung fördern.
Ich weise an dieser Stelle gerne noch einmal auf die Wurzel aller Missverständnisse in Bezug auf diese Begriffe hinweisen: Sowohl öffentliche Stellen als auch Akteur:innen der grünen Wirtschaft erkennen an, dass Postwachstumsansätze notwendig sind. Sie investieren viele ihrer Hoffnungen und Ressourcen in die Entwicklung des Doughnuts als Instrument zur Ermittlung von Zielen. Schließlich engagieren sie sich für Strategien der Kreislaufwirtschaft, die darauf abzielen, "praktische Maßnahmen" vor Ort auszulösen, neues Wirtschaftswachstum und möglicherweise auch neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das würde sowohl großen Unternehmen als auch kleinen Bürgervereinigungen gefallen.
Sie akzeptieren aber nicht, dass die wirksame Erreichung aller Doughnut-Ziele von einer Degrowth-Agenda abhängt, die aktiv eine Reduzierung in Schlüsselsektoren anstrebt und sich nicht scheut, den Wohlstand umzuverteilen. Ohne diesen letzten Schritt - Degrowth - wird Postwachstum ein Wunschdenken bleiben, der Doughnut ein zweckloses Werkzeug und die Kreislaufwirtschaft eine großartige neue Geldmaschine mit geringen Umweltauswirkungen.
Federico Savini ist Professor für Umweltplanung, Institutionen und Politik an der Universität von Amsterdam. Er kombiniert Ansätze aus der politischen Soziologie, der Stadtplanung und der kritischen Geographie zur Untersuchung von Institutionen und sozial-räumlichem Wandel in Städten. In seiner Arbeit untersucht er die Politik, die den institutionellen Wandel vorantreibt, und konzentriert sich dabei auf die verschiedenen Regelwerke, die das Funktionieren von Stadtregionen und ihre ökologischen Auswirkungen auf den Planeten bestimmen. So erforscht er die Wege zu einer Urbanisierung, die innerhalb der planetarischen Grenzen gedeiht, und betrachtet Raumplanung aus einer Degrowth-Perspektive.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Zum Original
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